Den Düften lauschen

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Mit Frau Tonis Parfum hat Stefanie Hanssen einen Ort für besondere Düfte geschaffen – und auch der Name gehört einer besonderen Frau.

Auf der weißen Theke stehen 27 Apothekerflaschen. Ein zarter Duft zieht kaum wahrnehmbar durch den Raum. Hinter dem Tresen hängt eine große Schwarzweiß-Fotografie. Eine junge Frau schaut mit kritischem Blick in den Verkaufsraum. Das ist die Namensgeberin der Parfümerie Frau Toni. „Ich liebe meine Oma sehr, deswegen habe ich ihr die Parfümerie gewidmet. Als ich ihr davon erzählt habe, war sie fast schon geschockt, dass es in Berlin ein Geschäft geben sollte, das nach ihr benannt ist“, erzählt Stefanie Hanssen schmunzelnd. Heute sei Frau Toni stolz auf ihre Enkelin. Die Geschichte von Frau Tonis Parfum begann vor zehn Jahren mit einem markanten Duft und der Erfahrung der Gründerin, dass in der Parfümindustrie Quantität vor Qualität geht: „Ich fand den Umgang der Parfümerien mit Düften zutiefst unsinnlich und hatte den Eindruck, da hört mir überhaupt keiner zu.“ Nach diesem Eindruck beschloss Stefanie Hanssen, ihre eigene Parfümerie zu gründen und Parfüm nach ihren eigenen Vorstellungen zu verkaufen. Doch obwohl die Betriebswirtin schon seit 1998 selbständig war und sowohl mit der Unternehmensgründung als auch mit dem Erstellen von Businessplänen Erfahrung hatte, blieben die Banken in Berlin kritisch. Ihren Gründungskredit erhielt sie schließlich in ihrer westfälischen Heimat.

Seit 2009 fliegt Hanssen mit ihren Duftideen regelmäßig nach Frankreich, um dort im Austausch mit einer Parfümeurin ihre Ideen in Flaschen zu füllen. „Es ist schön, jemanden gefunden zu haben, mit dem man sich schon fast blind versteht“, sagt die 50 Jahre alte Unternehmerin über die Zusammenarbeit.

Bis ein Parfüm produktionsbereit ist, können auch mal eineinhalb Jahre vergehen. Einmal sind Hanssen und ihre Parfümeurin sogar gescheitert: „Ich liebe den Geruch von frischem Basilikum, wenn man nah herangeht und mit dem Finger über das Blatt reibt. Diesen Geruch wollte ich unbedingt einfangen – aber es ist nicht möglich.“ Als Ursache vermutet sie die in der Pflanze enthaltenen Bitterstoffe, die bei dem Versuch, die Duftmoleküle zu lösen, hervortreten. „Wir haben gefühlt hunderttausend Experimente gemacht und sind gescheitert. Man muss vielleicht auch nicht alles, was die Natur uns anbietet, in Flaschen füllen“, sagt Stefanie Hanssen. Stattdessen nutzt sie Sandel- und Zedernholz, die auch zu ihren Favoriten gehören, und kombiniert sie mit exotischen Duftnoten wie etwa Reis.

Diese Experimentierfreude und ihr Ruf, außergewöhnliche Parfüms herzustellen, waren es vermutlich auch, die ihr 2013 den wohl ungewöhnlichsten Auftrag der Unternehmensgeschichte einbrachten. Stefanie Hanssen erhielt damals einen Anruf von Volkswagen mit dem Anliegen, zum Verkaufsstart des e-Golf ein Parfüm zu entwickeln, das im ersten Moment nach Benzin riecht. „Das war das Irrste und Kurioseste, was ich jemals angefangen habe. Ich habe zu schnell gesagt, dass ich das schaffen könnte“, erinnert sie sich. Tatsächlich gelang es ihr, durch die Kombination von Amber und Veilchen mit ein paar weiteren Düften den Geruch von Benzin zu erschaffen. Die Suche nach dieser Reaktion dauerte jedoch Monate und brachte sie und ihre Parfümeurin an den Rand der Verzweiflung. „Der Duft riecht beim ersten Schnuppern tatsächlich nach Benzin. Zum Glück verfliegt der Benzingeruch nach 20 Sekunden. Aber diesen Augenblick zu schaffen, das hat viel Durchhaltevermögen gebraucht. Die Parfümeurin in Grasse hat ganze Arbeit geleistet.“ Heute ist sich Hanssen nicht sicher, ob sie ein Projekt wie „Mémoire de Petrol“ noch einmal annehmen würde.

Bei der Herstellung all ihrer Parfüms achtet die Unternehmerin, die aus dem Ruhrgebiet stammt, sehr auf Nachhaltigkeit. Das bedeutet für sie, dass die Rohstoffe ausschließlich aus Europa kommen müssen – viele wachsen auf den Feldern rund um Grasse. Dazu gehört außerdem der Verzicht auf Pestizide und Konservierungsstoffe im fertigen Parfüm. Weiterhin legt sie großen Wert darauf, dass jedes Produkt in Europa in Handarbeit hergestellt wird. Dieser Anspruch wird auch an den Verpackungen sichtbar: Die schlichten, am Bauhaus orientierten Flakons und deren Verpackung stammen aus Deutschland und Frankreich und verzichten komplett auf Plastik. Um das Augenmerk weg vom Äußeren auf den Duft zu lenken, unterscheiden sich die kleinen Glasfläschchen nur durch ihr schlichtes Etikett. 50 Milliliter Eau de Parfum kosten zwischen 75 Euro und 90 Euro, ein Parfum-Workshop inklusive fertigem Duft ab 120 Euro.

Seit 2017 wächst die Zahl der Bestellungen jährlich um 20 Prozent, was dem Unternehmen in diesem Jahr Umsätze im hohen sechsstelligen Bereich einbrachte. Viele der Kunden kämen heute aus den Vereinigten Staaten. Dass viele der Bestellungen Erstbestellungen sind, ist für die Gründerin ein Zeichen für das große Kundenvertrauen in ihre Düfte.

Mittlerweile hat die Parfümerie am Checkpoint Charlie 14 Mitarbeiter. Einstellungskriterium: bloß keine Douglas- Erfahrung! Neben Abfüllen und Verkaufen finden hier auch individuelle Workshops statt. Auf den sogenannten „Duftreisen“ entwickeln Kunden zusammen mit Experten ein individuelles Parfüm, das anschließend archiviert wird. Seit der Gründung sind auf diesem Weg 6000 bis 7000 Düfte entstanden. Das Parfümsortiment umfasst aktuell 36 Eau de Parfums, acht davon hat die Unternehmerin selbst entwickelt. Im März 2020 soll ein neues Parfüm dazukommen.

Neben Linden und orientalischen Duftnoten wie Tabak oder Leder hat Stefanie Hanssen auch „Rose de France“ im Regal, das Lieblingsparfüm ihrer Oma Toni Luise. Die Gründung der Parfümerie ist Stefanie Hanssens Versuch, etwas von der Frau zu bewahren, die sie geprägt hat.

von Madeleine Brühl für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (23.12.2019).

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